Die Maniq gehören zu den wenigen noch existierenden vollnomadisierenden Jäger- und Sammlergesellschaften. Die ersten Nachweise auf Jäger und Sammler in dieser Region gehen 40.000 Jahre zurück und ihre Lebensform dürfte sich bis heute nicht wesentlich verändert haben. Heute zählen ca. 450 Menschen zu den Maniq, die in Kleingruppen von 25-55 Menschen leben. Sie haben eine hochegalitäre Gesellschaftsform, die keine sozialen, ökonomischen oder politischen Unterschiede kennt, und pflegen eine vergleichsweise eingeschränkte Kommunikation nach außen. Durch die dortige Regenwaldabholzung in ihrer Existenz bedroht, läuft ihr einziger Anknüpfungspunkt zum Leben außerhalb des Regenwalds über Bauern aus der Umgebung, mit denen sie sporadisch Tauschhandel betreiben. Diese stellen in der Regel auch den Kontakt mit den Forschern her, wenngleich es oft ungewiss ist, ob man am vereinbarten Ort auch tatsächlich auch auf einen Maniq trifft. Unsere gängigen kulturellen Konzepte kennen und brauchen die Maniq nicht, berichtet Khaled Hakami.
Khaled Hakami ist Doktorand am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien. Seit über zehn Jahren beschäftigt er sich mit der Lebensweise der Maniq. In einem Interview erzählt der Sozialwissenschaftler über seine Erfahrungen mit den Maniq und wie er auf sein Forschungsthema gekommen ist. Wer mehr dazu erfahren möchte, hat dazu am 18. November, 18:30-20:00 Gelegenheit: Khaled Hakami hält im Hörsaal 1 im NIG (Universitätsstraße 7, 1010 Wien) einen Vortrag mit Film und Fotos zu Jäger- und Sammlergesellschaften im Regenwald und die (politisch inkorrekte) Menschheitsgeschichte.
1.) Sie forschen über die Sozialisierung und Erziehung bei den Maniq, eine Jäger und Sammlergesellschaft, die in den Regenwäldern Südthailands lebt. Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?
Ich war immer an klassischer Völkerkunde, wie es früher hieß, interessiert - mit all ihren berühmten Feldforschern, die in unzugänglichen Gegenden unbekannte Gesellschaften studiert haben, aber auch an den großen Fragen der Menschheit, die sie mit ihren Forschungen versucht haben zu beantworten. Woraus besteht Gesellschaft? Was sind, wie funktionieren und wie verändern sich soziokulturelle Systeme? Von dieser Art Fragen ist es nicht weit zum Forschungsbereich, den man heute Makrosoziologie nennt. Und von dort war es für mich ein kleiner Schritt zum Studium von Jäger- und Sammlergesellschaften, denn 95% unserer Menschheitsgeschichte haben wir als Jäger-Sammler zugebracht. Ich erforsche also, zeitlich absolut gesehen, den dominanten Gesellschafts- bzw. Organisationstyp des Menschen auf dieser Erde. Aus dieser generalisierenden Perspektive sind die Maniq, obwohl für sich genommen historisch einzigartig, im strukturellen Vergleich eine sehr typische egalitarian society – und hier interessiert mich vor allem die Frage, wie eine Gesellschaft völlig ohne Hierarchie funktioniert und welche Rolle dabei eine egalitäre Erziehung spielt. Betrachtet man (egalitäre) Sozialisation als Funktion eines (egalitären) sozio-ökonomischen Gesamtsystems, wird klar, warum Kinder bei den Maniq bspw. kein einziges Spiel spielen, wo es Sieger oder Verlierer gibt. Und das Verständnis von sozio-politischer Egalität gibt mir eventuell die Möglichkeit auch das Phänomen sozialer Ungleichheit besser zu verstehen, womit wir wieder bei den großen Fragen sind.
2.) Was ist das faszinierende an diesem Thema?
Wenn man mit einer Jäger- und Sammlergesellschaft im Regenwald lebt, so ziemlich alles. Es gibt keine Musik, keinen Tanz, keine Schrift, keine Kunst in unserem Sinne, im Grunde nicht mal ein organisiertes Ritual – also nichts, was Menschen hier populär unter ‚Kultur‘ verstehen. Das ist natürlich eine sehr ethnozentrische Definition von Kultur. Die Maniq haben diese cultural tools, wie sie ein amerikanischer Kollege nennt, deshalb nicht, weil sie sie schlicht für ihr Leben nicht brauchen – ihnen fehlt also nichts. Dafür besitzen sie andere, die uns völlig fremd sind – die deswegen aber umso schwerer zu beschreiben sind. Ein wirklich faszinierendes Phänomen ist der extreme Gegenwartsbezug dieser Gesellschaft. Ausgehend von einer unmittelbaren Ökonomie, deren ganzer Produktions-, Distributions- und Konsumtionsprozess nicht über 24h hinausgeht, gibt es ausschließlich ein Konzept von ‚Gegenwart‘ also keines von Vergangenheit und Zukunft, was sich letztlich auch in der Sprache zeigt, die ohne Vergangenheits- und Zukunftsform (aber auch ohne Konjunktiv, Superlativ, oder Komparativ) auskommt. Besonders die Distribution von Ressourcen ist interessant, da es auf einem obligatorischen Teilprinzip beruht – allerdings nicht, wie sich die meisten westlichen Menschen das vermutlich vorstellen. Typisch für Jäger- und Sammlergesellschaften haben die Maniq demand sharing, also gefordertes Teilen, dessen zentrale Grundlage das (Weg)Nehmen und nicht das Geben ist. Das Konzept des ‚Eigentums‘, wie wir es kennen, ist dementsprechend obsolet. Aber viele kulturelle Phänomene, die wir hier bspw. in Bezug auf ‚Liebe‘, Freundschaft‘ und ‚Beziehung‘ als universale Gegebenheiten erachten, relativieren sich dort.
3.) Sie haben immer wieder längere Zeit bei den Maniq gelebt und Feldforschung betrieben. Wie kann man sich einen typischen Tag als Feldforscher im Regenwald vorstellen?
Typische Tage gibt's kaum. Für Forscher, die in der westlichen Welt sozialisiert wurden, und damit nur dort ihre Alltagsfähigkeiten haben, ist dieser Lebensraum ein ständiger Kampf. Wir können nur ca. 25% der Zeit forschen, den Rest der Zeit sind wir quasi mit eigenem Überleben beschäftigt. Einfache Dinge wie auf’s Klo gehen oder Wasser trinken und sich waschen sind dort für uns mit ziemlichem Aufwand und guter Koordination verbunden. Im Sinne einer teilnehmenden Beobachtung leben wir auch direkt in den temporär genutzten camps, auch in einem Windschirm mit zwei Feuerstellen, so wie die Maniq. Man muss natürlich dort mithelfen, soweit man kann. Da wir unfähig sind, zu jagen, sammeln und dergleichen - wir haben dort das technische Niveau von 3-4jährigen - werden wir fürs Feuerholzsammeln und Wasserholen eingeteilt, und das meistens sehr spontan, weil es keine geregelten Zeitabläufe gibt. Für die Maniq selbst ist dies natürlich anders, die benötigen für ihren unmittelbaren Lebensunterhalt einen nur geringen Arbeitsaufwand von etwa 3,5 Stunden pro Person und Tag, der Rest der Zeit ist ‚Freizeit‘ und wird für alles Mögliche, wie quatschen, schmusen, rauchen oder dösen genutzt. Bewundernswert, aber für einen Forscher, der dort arbeiten und Daten sammeln sollte, auch nicht gerade einfach.
4.) Zurück in Wien, wie ist es Ihnen in den ersten Tagen/Wochen gegangen?
Der Kulturschock ist schon etwas spürbar. Weniger die rein technischen Dinge wie einkaufen und telefonieren – das hat man im Prinzip gleich wieder -, es sind mehr die Umgangsformen. Bei den Maniq gibt kein Wort für „Danke“ und auch die Geste ist verpönt, keine Form von small talk, selbst Begrüßungen und Verabschiedungen fehlen im Prinzip - als wir nach längerer Zeit wieder gingen, hat sich nicht mal wer umgedreht und als wir nach einem Jahr wiederkamen, hat es niemanden interessiert, wo wir waren. Und da wir uns – den dortigen kulturellen Regeln entsprechend - darauf eingestellt haben, müssen wir uns – zurück in den hiesigen Regeln – möglichst rasch wieder umstellen. Auf was man sich aber persönlich wirklich freut, und auch daran erkennt man die westliche Sozialisation, ist das Wiedererlangen von Individual- oder Privatsphäre, sprich einfach mal die Tür hinter sich zuzumachen - das gibt's in einer face-to-face hunter-gatherer society nicht. Wir werden dort von der ersten Minute des Tages bis zur letzten beobachtet - und wenn wir etwas falsch machen, und das machen wir ständig, auch ausgelacht. Warum wir bei ihnen sein wollen, scheint klar, aber deren Motivation uns auch zu „behalten“, könnte unter anderem schlicht das Bedürfnis nach „Entertainment“ sein.
5.) Was könnte unsere Gesellschaft Ihrer Meinung nach von der Lebensform der Maniq lernen?
Wir wollen ja zumeist nur die Phänomene lernen, die wir hier als moralisch positiv erachten – aber das ist selektives Denken und entspricht nicht dem Konzept eines Systems. Auf das Beispiel Sozialisation umgelegt, kann man natürlich das fehlende institutionelle teaching, den „Laissez-faire Stil“ und die damit vergleichsweise freie Kindererziehung „positiv“ hervorheben. Aber die Egalität zwischen Kindern und Erwachsenen führt gleichzeitig auch dazu, dass Maniq-Kinder ab dem Alter von ca. 2 Jahren das Rauchen beginnen und große Messer mit sehr scharfen Klingen als Lieblingsspielzeug haben. Ebenso muss man die (egalitäre) sexuelle Interaktion von Erwachsenen und Kindern, die in diesen Gesellschaften auftritt, dann „mitkaufen“. Da es sich hier um interdependente Strukturen handelt, sind die jeweiligen Phänomene nicht isoliert zu betrachten. Gesellschaft ist kein Wunschkonzert, so unpopulär das auch klingt.